Kathena und mein Logbuch nach NordenLeseprobe »Unser Chaos-Kurs«
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Unser Chaos-Kurs

Fender ab. Festmacher rein. Groß hoch. Astrid an die Pinne.

Schnell geht das bei uns an Bord, wenn wir weiter wollen. Und was haben wir vor? Ohne Frage, Kurs Hebriden. Endlich Stornoway oder Kinlochbervie. Mal wieder Gegenstrom und null Wind. Völlig platt der Atlantik mit nördlicher Dünung. Der Himmel hoch. Alles sieht blendend aus. Auf dem Meer kein Schiff. Wir motoren und wechseln im Zwei-Stunden-Wache-Rhythmus. Astrid zeigt ein zerknirschtes Gesicht bis abends, als schließlich ein Ost mit drei Beaufort einsetzt. Es folgt ein makelloser Abend mit der Aries übers Meer, so habe ich mir das gewünscht. Astrid kann aus 40 Meilen Entfernung bei glasklarer Sicht die 500 Meter hohe Insel Suðuroy achteraus noch schwach ausmachen. Die makellose Lichtfülle macht uns sprachlos, denn die Insel hat nicht einmal einen richtigen Berg.

Sprachlos macht uns das Wetter gegen Mitternacht. Aus einer mittleren Brise wird ein knallharter Wind. Ich hole die Fock 1 runter und setze den Klüver 2. Lasche das alte Segel an der Reling fest und binde ins Groß Reff 1, bald Reff 2. Das geht nicht so zügig, weil ich es lange nicht gemacht habe. Der Tag endet mit Wind Südost sieben. Und der neue Tag beginnt mit Sturm aus Süd. Luke zu, Ölzeug an. Außerdem mache ich mir das Leben schwer. Denke: Einerseits müsste die Fock runter, andererseits kannste es auch so lassen. Nicht lange, und ich bin wieder auf dem Vordeck in Aktion, berge die Fock und setze die Sieben-Quadratmeter-Sturmfock. Damit pendeln wir uns bei Südwind auf Kurs 130/140 Grad ein. Mehr ist nicht drin. Kein brauchbarer Kurs, wenn man nach Süden will. Die Abdrift ist auch nicht zu verachten. Auf diese Weise gehen noch mal mindestens zehn Grad weg. Der Seegang macht mich zudem zögerlich. Schaffe ich es noch mit 76? Seit ich dieses Alter erreicht habe, lässt mich dieser Gedanke nicht mehr los. 76 ist für mich gefühlsmäßig etwas anderes als 75. Max Frisch schrieb einmal: Das Alter gebe ihm das Gefühl des Reichtums und bei allen Nachteilen doch auch das Bewusstsein der Kompetenz.

Wie wahr, es hat eine neue und ganz besondere Lebensphase begonnen, in der vielleicht alles »zum letzten Mal« passiert. Doch mit Kompetenz komme ich auf dem holprigen Vorschiff nicht weit. Ich weiß, wie reffen gehen soll, aber die körperliche »Kompetenz« fehlt eindeutig. Außerdem hat sich bei mir die große Lust am Kreuzen verabschiedet. Ich bin überhaupt nicht mehr wild darauf. Solcherlei Gedanken hatte ich nonstop nie. Nie, nie. Selbst nach wochenlangem Zickzackkurs nicht. Doch, einmal vielleicht, als ich eine harsche Woche mit ungemein hohen Brechern auf der Kreuz ertragen musste und irgendwie in Trance fiel. Völlig übermüdet sah ich einen Mann mir gegenüber auf der Koje sitzen, der genauso gekleidet war wie ich und den ich mit einem Schlag (in die Luft) umhaute. Das erzeugte in mir ein richtig gutes Gefühl, dass ich zur Not jemanden besiegen konnte, der mir dumm kommt und mich nachäfft. Ich merkte, dass mein Körper, meine Beine und Schultern stark waren. Schlagartig wurde ich wach, schämte mich und stellte fest, dass Gegenansegeln und Vorankommenwollen mich streng genommen überforderten. Aber damals war ich 60 Jahre alt und schon viele Monate allein unterwegs. Und jetzt? Es ist erst der zweite Tag, und ich bin nicht allein.

Ein schlimmer Tag und eine weitere schlimme Nacht folgen. Ein Sturm von vorn hat uns voll erwischt. Mein Gott, sechsmal die Fock 2 (16 Quadratmeter) auf dem springenden Boot gesetzt und wieder geborgen. Der enorme Seegang, der konträr zum Wind steht, kommt dazu. Er lässt uns in tiefe Gräben fallen, erst das Boot und dann mich. Ich bin einfach nicht so beweglich wie früher. Oft muss ich auf dem Vordeck im Sitzen oder Knien die Segel reduzieren. Dennoch fliege ich einmal von Steuerbord nach Backbord und lande im Zaun. Das geflochtene Netz hält mich an Deck. Das Festzurren des Tuchs an der Reling ist auch etwas, das mich außer Atem bringt. Nach getaner Arbeit bin ich unterm Ölzeug jedes Mal schweißnass. Die Frage, die mich ständig umtreibt: Wie habe ich das früher bloß bewältigt? Die Erfahrung des ständigen Aufkreuzens ist nach wie vor durchaus präsent in meinem Kopf. Sie bestimmt mein Leben. Astrid sagt: »Das ist ja hier schlimmer als am Kap der Guten Hoffnung. Außerdem glaube ich, dass ich deine Nonstop-Fahrten nicht ernst genug genommen habe. So ein Wetter über unendlich lange sechs Monate südlich des 40. Breitengrades. Dabei Tag und Nacht das Schiff vorantreiben, nicht zu fassen.«

Anmerkungen aus meinem unleserlichen Logbuch:
Einmal in der Stunde trifft uns ein Brecher voll, und eine riesige Welle donnert übers Deck. Schafft es erfreulicherweise nicht ins Cockpit oder in die Plicht. Wind steht gegen Strom. Mitten auf dem Meer. Zeitweise gurgelnde Tide Rips, richtig chaotisch. Das echte Meer ruft nicht, es brüllt, es tost und tobt. In einer Welt, in der alles kontrollierbar scheint, ist das Meer unberechenbar. »Der Atlantik ist grässlich in diesem Dreieck Färöer, Orkney, Schottland.« A.s Worte treffen es. Sie leidet wie nie zuvor. In der zweiten Nacht will sie nicht mehr, und ich kann nicht mehr. Ich kann sie auch nicht trösten. Bin schlapp und desillusioniert. Und ganz schlimm: desinteressiert. Als wir einige Stunden auf dem Kajütboden kauern und uns ganz eng gegenseitig wärmen, vernachlässigen wir eigentlich alles: Ausguck, Segel, Schiff. Wir schlafen engumschlungen ein.

Astrid fühlt sich beunruhigend schlecht, während KATHENA NUI dieses unglaubliche Schiff, auf sich gestellt dem Sturm und den harten Seen trotzt. Ihr kann der Sturm nichts anhaben, wenn sie manchmal wild in die See knallt. Das Krachen in eine Welle lässt den Mast erzittern. Und uns wieder an Deck spurten und nach dem Rechten sehen.

Als es hell wird, lässt der Wind nach. Noch willkommener: Vor uns liegt die über fünf Meilen breite Einfahrt zum Westfirth. Sozusagen die westliche Einfahrt zum Hafen Kirkwall auf den Orkney-Inseln. Stornoway/Hebriden oder Kinlochbervie/Schottland waren mit unserem beschissenen Kurs nicht möglich. Bis Kirkwall ist es noch ein langes Stück um fünf Ecken, vielleicht 20 Meilen. Schnell die Fock hoch und Richtung Westfirth auf Kurs gehen. Nehmen wir eben die Orkneys anstatt die Äußeren Hebriden. Das spielt doch keine Rolle. Unsere Laune bessert sich allmählich, wir wollen nur noch in einen Hafen. Kirkwall passt auch. Wäre da nicht der gewaltige Gegenstrom. Es dauert sechs Stunden bis dorthin. Davon einige Stunden, die, gelinde gesagt, ziemlich unfreundlich sind, eben Wind gegen Tide. Dann haben wir, heiß ersehnt, die Stadt vor Augen, finden aber die Einfahrt nicht. Das ist mir schon hundert Jahre nicht passiert. Beinahe wären wir in dem kleinen Fischerhafen gelandet, aber der bietet glücklicherweise keinen Platz. Die Masten der Segelboote sind außerdem die ganze Zeit zu sehen. Endlich, etwas nördlich, entdecken wir die versteckte, aber sichere Einfahrt zum Yachthafen. Wir haben sie gefunden! Sieht gut aus. Vor 20 Jahren war hier noch alles offenes Gewässer. Bei ungünstigem Wind schüttelte es einen am Liegeplatz. Und jetzt: Molen, Schwimmstege und plattes Wasser.

Zähne putzen, Liegegeld bezahlen und sich lang legen ist alles, was am Ankunftstag noch passiert. Halt, wir haben auch noch Hunger. Ich heize den Petroleumkocher vor, zünde die Flamme an und koche uns, selbst wenn es schon Mittag ist, das typische Bordfrühstück. Es schmeckt vorzüglich, zumindest mir. Bei Astrid ist nach dem Porridge Schluss. Ihr Magen muss sich erst mal regenerieren.

Ich klappe das vernachlässigte Logbuch auf:
Die See war in der Tat grässlich in dem Karree Färöer, Orkney. Sie hatte uns voll im Griff. Ja, die See machte uns klein. A. umklammert Schüssel und Eimer. So habe ich meine Frau noch nie gesehen. Sie ist zu bewundern. Tapfer? Wohl nicht der richtige Ausdruck. Für A. war der Wind immer acht und neun, für mich war es zeitweise weniger, aber dafür die Wellen ruppiger, kolossal krass. Mehr oder weniger stürzten sie aus zwei Richtungen auf uns. Die Kracher im Bugbereich waren heftig. Die kritischen kamen aus Nord. Eine Welle war dabei, die den Mast mehr als nur zittern ließ. So eine hatte ich auf der Nonstop freilich auch. Danach quietschte der Mastfuß einen Monat lang. Hier jaulte er auch. Ich hoffe, dass es diesmal nicht einen Monat dauert.

Fantastisch sieht alles aus. Fest am Schwimmsteg. Die Leinen aufgeschossen. Die Segel fein aufgetucht. Ein fabelhafter Wellenbrecher bietet richtig Schutz. Das Land. Die Stadt. Die Kathedrale. Als ich das alles neugierig betrachte, sage ich zu Astrid:

»Komm, lass uns duschen, und dann gehen wir doch noch an Land.«

»Die Dusche sieht nicht gerade einladend aus.«

»Stimmt, ich will auch gar nicht. Ich bin todmüde nach zwei Nächten.«

»Gut, dann legen wir uns schlafen.«

»Sieh mal, wie der Wind zugenommen hat. Der war beim Ankommen noch nicht so stark.«

»Stimmt, und immer noch aus Süd.«

»Deshalb schnell in die Koje. Ich will nichts mehr hören und sehen.«

»Und nichts mehr hören von den Häfen, die wir nicht geschafft haben?«

»Welche Häfen?«

»Na, egal.«

Beim Einschlafen mokiert sich Astrid zu recht über die verschiedenen Wetterberichte. In Suðuroy arbeitete sie mit vier verschiedenen. Und was ist rausgekommen? Nichts als Mühe und Qual.










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Kathena und mein Logbuch nach Norden  |  Neu
240 Seiten, 103 Fotos, Faksimile und Karten, gebunden
Delius Klasing Verlag
EUR 22,90
ISBN 978-3-667-11071-8

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