Allein gegen den WindLeseprobe »Weg, nur weg«
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Weg, nur weg

2. Tag – Dienstag, 15. August | Der zweite Tag ist schon mein erstes Kap. Meine Seele hängt auf Halbmast. Der gestrige Abschied in Cuxhaven reißt im Gesicht. Grund sind die Szenen: Das letzte Kraulen in Astrids Haar, Kyms kräftige Umarmung, der feste Händedruck einiger Freunde, die letzten Fragen der Reporter. "Warum machen Sie das?" Ja, warum tu ich mir diesen fürchterlichen Kurs an. Gehe dieses Wagnis ein: gegen den vorherrschenden Wind um die südliche Halbkugel.

Begonnen hat diese Weltumseglung mit null Wind und tiefen Wolken. Schwül ist es, drückend. Wakan Tanka (Großer Geist) schleppt die motorlose Kathena nui hinaus auf die Elbe. Ein zäher Anfang einer langen Reise. Wie lang? Wer weiß? Mein Zustand ist wie das Wetter: gräulich. Zerknirscht steuere ich durch die erste Nacht. Quatsch, am liebsten würde ich mich in einer Bucht verstecken, so desinteressiert bin ich plötzlich an meinem Vorhaben. Doch die Elbmündung bietet dafür keine geeigneten Ankerplätze. Dafür umso mehr Leuchtfeuer, Schiffe, Tonnen, Strömungen, Sandbänke. Wind kommt später frisch aus der Richtung, wo ich hin will. Muss höllisch aufpassen, die Elbe ist ein dicht befahrenes Seerevier. Um den Überblick zu behalten, hocke ich an der Pinne. Obendrein ist mir schlecht. Kotzelend. Nehme zwei Aspirin, die nicht helfen. Was soll’s, die Entscheidung ist getroffen. Zehneinhalb Monate Alleinsein liegen vor mir. Mindestens. Fast ein ganzes Jahr ohne menschliche Stimmen, Berührungen, Anteilnahme. Dazu die drei großen Kaps der Erde, Kap Hoorn an der Südspitze Amerikas, Kap Leeuwin am südwestlichen Ende Australiens, Kap der Guten Hoffnung an der Südspitze Afrikas. Und zwischen ihnen die gefürchteten südpolaren Ozeane. Alles gegenan. Das bedeutet wie gesagt: dreifache Zeit, vierfache Arbeit. Entsetzlich, für diesen Kurs Segel zu setzen. Gedankensplitter, die mich kraft- und mutlos machen. Müdigkeit macht alles noch matter.

Doch erst einmal liegt die Deutsche Bucht voraus. Harmlos ziehen die Segel Kathena nui durch eine leicht bewegte See. Das Wasser ist trübe. Die Sicht mittelprächtig. Ich sitze an der Pinne und döse in Minutenperioden. Früh gegen 6 Uhr verhole ich mich in die Kajüte. Was bin ich für einer? Schlafe unter Deck mitten im Verkehrstrennungsgebiet der Deutschen Bucht. Lasse mich von der Küstenwache erwischen. Kathena nui befindet sich auf Diagonalkurs, doch das Trennungsgebiet darf nur vierkant durchfahren werden, der Schiffsverkehr hat dabei Vorfahrt. Über UKW werde ich angesprochen: Was sind Ihre Absichten? Durch die knisternde Handfunke suggeriert die Stimme schlechte Nachrichten, signalisiert Unabwendbares. Eine gute Frage, denke ich kurz. Aber dann voller Sorge: zu Ende. Die schleppen dich ab. Schon knapp einen Tag nach Cuxhaven endet dein großes Vorhaben in der Deutschen Bucht. Nein, bloß das nicht. Ich räuspere mich, um nicht verschlafen zu wirken und antworte freundlich: "Mein Ziel ist der Englische Kanal. Wegen des Südwest bin ich auf Kreuzkurs." Die Antwort lässt auf sich warten. Nervös stehe ich mit der Funke in der Hand am Niedergang und beobachte skeptisch das Schiff mit den groß aufgemalten Buchstaben. Küstenwache. Es liegt ziemlich dicht in Lee. Doch als die Antwort kommt, ist sie kurz. Ich werde gebeten, das Gebiet mit einem Kurs von 344 Grad zu verlassen. Instinktiv reiße ich das Ruder rum, gehe auf Kurs wie empfohlen, fiere eilends die Schoten, um dem Trennungsgebiet nach Norden zu entwischen. Bedanke mich freundlich mit wenigen Worten, wünsche einen guten Tag. Und: Ende und aus. Verdammt, erst jetzt wird mir vollends klar, dass ich zu lange geschlafen habe. Das Erlebnis mit der Küstenwache war nicht nötig. Ich habe schon von empfindlichen Strafen gehört.

Ein Beispiel, zu was Übermüdung, Abschiedsschmerz, Unsicherheit und Traurigkeit führen können.

Die internationalen Schifffahrtsbestimmungen fordern zwar, dass jedes Schiff auf See zu jeder Zeit einen Ausguck haben muss, der die Situation und ein eventuelles Kollisionsrisiko hundertprozentig abschätzen kann (Rule 6), aber für einen Einhandsegler ist das nicht umsetzbar. Demzufolge ist es nicht schwer nachzuvollziehen, dass bei einem Alleinsegler Schlaf illegal ist. Nur: Die Handelsschiffe halten sich nachweislich auch nicht an dieses Gesetz. Mangels Personal verletzen sie es selbst in stark befahrenen Gebieten. Da der Alleinsegler normalerweise ein kleines Schiff segelt, wird er, wenn es zu einer Kollision kommt, immer der Unterlegene sein.

Das Zusammentreffen mit der Küstenwache führt zu völliger Mattigkeit. Bin danach total nieder. So habe ich mir die Abfahrt nicht vorgestellt. Diesmal nicht. Steht doch noch am Abend zuvor im Logbuch: Weg, nur weg. Und: Abfahren gleich Ankommen. Und: Ich segle allein (mit Ausrufezeichen).

Der Wind frischt auf, bleibt aber weiter aus Südwest, also ziemlich direkt von vorn. Kreuzen muss ich folgedessen auch noch. Um Ruhe und Kraft zu finden, lege ich den Kurs weit nördlich aller Schifffahrtsrouten der Deutschen Bucht. Reduziere die Segelflächen mehr als notwendig und fahre nur wenige Wenden. Das ist fast so wie vor Anker liegen. Alle Viertelstunde rappele ich mich aus dem Schlaf vom Kajütboden hoch und halte Rundumblick. Ein Wecker hilft mir, diesen Rhythmus einzuhalten. 27 Stunden verharre ich in dieser Lage. Begleitet von allem, nur nicht Segelbegeisterung.

Mein Leben ist in zehn Reisen eingeteilt. Manche waren mühsam und anspruchsvoll, andere weniger. Unterhaltsam waren sie alle. Von dieser neuerlichen habe ich nur eine rudimentäre Vorstellung. Gegen den Wind durch die südlichen Ozeane. Wie soll das gehen mit einem Schiff von zehneinhalb Meter Länge und fünfeinhalb Tonnen Gewicht. Beispielsweise bei Windstärke 8, also normalem Sturm und acht Meter hohen Seen? Werde ich da noch gegenhalten können? Gar vorankommen? Oder muss ich womöglich vor jedem Polarsturm, der länger dauert, vor dem Wind ablaufen? Solche Fragen beschäftigen mich. Versetzen mich in Panik, beidseitig der Wirbelsäule kribbelt und sticht es.

Hinzu kommt das Zeitgefühl. Was werde ich erlebt haben, wenn ich wieder in der Deutschen Bucht stehe? Werde ich überhaupt wieder die Seezeichen der Elbansteuerung in der Seekarte abstreichen? Und was werden Arfst, Johannes und Julian von der Wakan Tanka erlebt haben? Das Ziel der letzten deutschen Yacht, die mich hinaus begleitet, ist Hooksiel. Meines, Cuxhaven, liegt, als wir uns trennen, näher, ist aber doch weiter. Merkwürdig. Habe das Gefühl, ich verlasse die Erde. Nonstop.

Die Nonstopfahrt beginnt schwierig - wie alle meine Vorhaben, die sich lohnen.


3. Tag – Mittwoch, 16. August | Alles ist endlich. Auch das Allerschwierigste. Es geht weiter. Reiße vehement an Schoten und Fallen. Stelle Kathena optimal an den Südwestwind. 5 Knoten, 6 Knoten zeigt das Log an. Ich atme durch. Glücklich, eine Pause gemacht zu haben. Ich beginne zu leben.

Ursache meiner gestrigen Schwäche ist die Tatsache, dass ich mir während der letzten Tage in Cuxhaven zu viele Gedanken um die Ausrüstung machte. Reichen 40 Liter Petroleum für Lampen und Kocher? Nein. Also Astrid, hole bitte noch fünf Liter. Und Streichhölzer? Besser noch eine andere Sorte. Warum habe ich keine Kerzen? Soll ich mir noch ein Barometer in Reserve zulegen? Zögerlich entscheide ich mich für ein Instrument von Wempe. Die Liste endet nie: Sportschuhe, eine Dichtung, Kamerabatterien, Kombizange undsoweiter. Ärgerlich: Für das Stanzen zweier Refflöcher in meine Orkanfock nimmt der Segelmacher 147 Mark – und will mich noch veräppeln. Alex, mein Cuxhavener Segelfreund, montiert eine zusätzliche neue Steckdose. Zwischendurch immer wieder Bereitsein für Fotos, Telefonate und Gespräche. Leute, die aus Bielefeld, Bremerhaven oder Köln extra anreisen, kann ich nicht mit einem Wort abweisen. Das kann ich einfach nicht. Und das kostet Zeit. Sprüche von Freunden und Bekannten: "Wilfried, wenn es einer schafft, dann du", hören sich gut an, motivieren aber nicht. Nicht in Cuxhaven. Lieber wären mir eine hilfreiche Hand oder ein Auto, um meine Besorgungen zügig zu erledigen. Zwei Tage vor der Abfahrt füllen Berge von Obst und Gemüse vom Markt die Plicht. Und alles muss im Schiff verstaut werden. 60 Kilo Zwiebeln sammeln wir ein. Oder sind es 80? Ich verliere den Überblick. Und Astrid? "Der geht, hat es leichter. Bleiben ist schwer." Kym reist an, im Gepäck eine DV-Kamera. Die Einführung in die winzige Filmkamera verwirrt mich vollends.

Wind bleibt Südwest 4 bis 5. Mein Ziel steht fest: Das Wetter ist für einen Nonstopper zu nehmen, wie es kommt.

Der sichere Kurs zum Englischen Kanal führt hinaus auf die Nordsee. Dort ist viel Raum. Das heißt, die holländische Küste mit Zwangswegen, vielen Bohrinseln und ganzen Förderfeldern bleibt links, also an Backbord liegen. Weit. Damit auch ein Großteil der Fischerboote. Sind sie es doch, die einem motorlosen Segler wie mir durch unorthodoxe Kurse Ärger bereiten können.


4. Tag - Donnerstag, 17. August | Essen und trinken interessiert noch nicht. Eine Brotscheibe und eine Banane sind alles. Was mache ich bloß mit den 300 anderen? Goldgelb leuchten sie mich an. Von meinem Verein in Cuxhaven bekam ich zum Abschied einen riesigen Karton voller fast reifer Bananen.

Schlagartige Windböen mit vielen Segelwechseln und vor allem weiterhin Gegenwind halten mich an Deck. Ich habe meine Segelgarderobe einfach ausgerüstet: keine Rollsegel, alle Vorsegel mit Stagreitern. Das macht die Arbeit zwar umständlich, doch ich erhoffe mir in stürmischen Gewässern Vorteile, dass beim Reffen und Bergen weniger technische Probleme auftreten.

Vermisse zweite Ölhose, Langschäfter (Gummistiefel) und Südwester. Macht mir Kopfzerbrechen für den ganzen Tag. Ginge es überhaupt ohne diese drei wichtigen Utensilien? Kaum. Meine Befürchtung, Astrid könnte sie versehentlich wieder eingepackt haben, steigert sich. Nämlich mitsamt den Dingen, die in den letzten Tagen wieder von Bord expediert wurden. Das wäre schlichtweg eine kleine Katastrophe.


6. Tag - Samstag, 19. August | Auch dieser Tag beginnt und endet mit Gegenwind. Obendrein erwischt mich 20 Meilen vor Dover, dieser Meerenge zwischen England und Frankreich, ein Sturm um 8 Beaufort. Aus Südwest. Reffe erstmalig das Großsegel ganz durch. Das dauert. Die Reihenfolge der Handgriffe ist noch nicht koordiniert. Das Gleiche gilt für die Sturmfock. Segelsack aus der Hundekoje zerren. Unterliek anschäkeln. Stagreiter am Stag einschlagen. Fall einpieken. Segel setzen. Ach, die Schoten vergessen. Wieder das schlagende Tuch bergen. Schoten anknoten und Umlenkblöcke versetzen. Von neuem das Sturmsegel setzen. Schoten dicht holen. Verdammt, der Holepunkt ist falsch ... Und das alles im Angesicht des Fährhafens Ramsgate und den umliegenden fantastisch ausgeleuchteten Kreidefelsen. Die Sicht ist nämlich besser als gut.

Bei der Querung von South Falls Head wird Segeln für Minuten zum Deckwaschen. Auf der Untiefe von acht Meter ist mächtig was los. Tidenstrom und Wind stehen gegeneinander und verursachen eine kabbelige, steile Welle. Weil ich auf keinen Fall mit dem Zwangsweg der Dickschifffahrt kollidieren will, ist diese Querung des Flachs ein Muss.

Mit Kreuzkurs und gegen den Gezeitenstrom durch die Straße von Dover. Zunächst alle zwei Stunden eine Wende, dann halb- und viertelstündlich. Das ist nass und hart. Steigert meine Müdigkeit. Immerhin: Innerhalb von sieben Stunden noch 4 Meilen vorangekommen. Vielleicht 22 Wenden gefahren. Jeder Schlag führt haarscharf an den Trennungsweg. Kein Schiff vom Kurs abgebracht. Könnte ich mir auch nicht erlauben. Die Engländer überwachen die Enge mit Radar.

Gegen 23 Uhr Dover in einer guten Meile Abstand passiert. Mit dem letzten Licht und einem einmalig satten roten Himmel über den Klippen. Ich zücke die Fotokamera, aber wie sich später herausstellt, ist kein Film drin. Cuxhaven und meine Unruhe! Fünf Fährschiffe kreuzen fast gleichzeitig meinen Kurs, entweder dicht vor dem Bug oder achtern. Mann, ist das eine Freude, als ich mit der langsam einsetzenden Dunkelheit Dover achteraus habe. Glücklicherweise hatte ich nach dem Desaster mit der deutschen Küstenwache seemännisch alles richtig gemacht: 27 Stunden Segelpause weit nördlich von 54 Grad Breite; in der Nordsee einen Bogen um alle Hindernisse geschlagen; keinem Schiff zu nahe gekommen; Kurs und Geschwindigkeit der Doverfähren gut abgeschätzt. Und schließlich nach Dover in die Nacht hinein. Als der Wind schwachwindig und später gar flautig wird, liege ich prächtig zwischen der englischen Küste und dem Verkehrstrennungsgebiet Englischer Kanal.

Das Wichtigste zum Gelingen dieser 350-Meilen-Horrorpassage für Einhandsegler: Ich habe mir Zeit genommen.















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Allein gegen den Wind
272 Seiten, 66 Farbfotos, 41 S/W-Abbildungen und zahlreiche Karten, Format: 13,5 x 21,5 cm, broschiert
Delius Klasing Verlag  |  EUR 14,90
ISBN 978-3-667-11022-

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