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Maritimes Museum Hamburg & Fastnet Race 3.Teil  |  20. Oktober 2009


Die Weltumseglerin
288 Seiten, 56 Farbfotos,
30 S/W-Fotos und Faksimile, gebunden
Delius Klasing Verlag
EUR 22,90
ISBN 978-3-7688-2596-2
Bestellen bei:


Internationales Maritimes Museum Hamburg: vor gut einem Jahr eröffnet und letzte Woche von uns in der Koreastraße besucht. Zum Einen aus Eigeninteresse, zum Anderen um mir ein Bild vom Museum zu machen, in dem ich morgen für 3sat (Fernsehen) tätig bin. Ausstrahlung im Dezember. Thema: In 24 Stunden um die Welt.

Eigeninteresse: Klar doch, Schifffahrtsmuseen ziehen bei mir immer. Und jetzt das Museum in Hamburg, das mit 40.000 Einzelstücken des Sammlers Peter Tamm bestückt ist. Wer sich für Modelle interessiert ist hier bestens aufgehoben. Rund 25.000 kleine Exemplare warten auf ihn. Als I-Tüpfelchen nochmals fast 1000 große Schiffsmodelle. Wahnsinn. Um nach all den Modellen und Miniaturen wieder einen klaren Blick zu bekommen, war ein Kaffee in der Kantine sehr nützlich. Zu empfehlen auch der Marmorkuchen. Alles um die Windjammerzeit herum faszinierte mich: Spleißen, Knoten, alte Navigationsinstrumente. Und was in Museen oft vernachlässigt wird, war hier klar und deutlich: die Informationen zu den jeweiligen Exponaten. Großzügig werden Fotos, Aquarelle, Gemälde, Zitate von Conrad über Hemingway bis Erdmann (ja, ich bin auch dabei, danke) präsentiert.


Internetseite des Internationalen Maritimen Museums Hamburg

Wirklich ein Schifffahrtsmuseum von Weltrang. Gut, Sportsegler und Fahrtensegler kommen etwas zu kurz, aber das soll noch ergänzt werden. Ebenso die 120.000 maritimen Bücher der Tamm-Bibliothek. Peter Tamm hat als Schifffahrtsredakteur beim Hamburger Abendblatt angefangen und war am Ende seiner beruflichen Laufbahn Vorstandvorsitzender des Axel Springer Verlages. – Haben Sie alles gesehen auf der diese Woche beginnenden Hamburger Bootsmesse (Hanseboot), dann ab ins Museum zum Kaispeicher B. Sie werden begeistert sein. Weblink: www.internationales-maritimes-museum.de

Wer die YACHT nicht kaufen konnte und sich für das Fastnet Race interessiert, hier der komplette Bericht:


Rolex Fastnet Race mit »Hexe«

Auf der hohen Kante / Hier wird keine Schot aus der Hand gelegt

Muss ich mir das antun? Das Fastnet mit 69 Jahren auf einem Racer mit 24 anderen Segelmännern. Leben in einen Rumpf mit doppel- und dreistöckigen Rohrkojen und an Deck auf der Windkante. Essen aus der Tüte und überhaupt: drinnen die Stickhöhle, draußen die Schweinegrippe.

Ort der Veranstaltung: Cowes, Isle of Wight, England 2009, dem Land mit schon fast hunderttausend Grippefällen.

Alle Bedenken kommen in die Backskiste. Ich bleibe meiner Überzeugung treu: Segle immer dahin, wo du wirklich hinwillst. Egal, was dazwischenkommt. Interesse heißt ja, sich hineinbegeben, dazwischen sein. Und ich will ins Geschehen springen und meinen Vorstellungen vom Regattasegeln Genauigkeit verschaffen. Besteht es wirklich nur aus: kurbeln, reißen, ziehen, trimmen? Und zur Intoleranz: Gucken sich Regatta- und Fahrtensegler am liebsten nur von hinten an?

Ich bin folglich hochfasziniert, als das Angebot Fastnet Race endgültig steht. Was Wimbledon im Tennis ist Fastnet im Segeln. Sagen die Engländer. Nicht eine Weltumseglung zählt in der Szene, sondern wie viele Fastnet du gemacht hast. Das ist nicht von mir, das habe ich von Svante Domizlaff, der der Katastrophe 1979 knapp entging. Seine „Jan Pott“ kenterte durch, und die Crew lag im Wasser. Das Fastnet Race endete damals tragisch, forderte 15 tote Segler, 23 Schiffe kenterten, 194 gerieten in Seenot. Trotzdem gehört die Regatta weiterhin zu den klassischen Offshore-Rennen. Es findet im Zwei-Jahre-Turnus statt und ist auf 300 teilnehmende Starter Yachten limitiert. Heute trägt es den Namen Rolex Fastnet Race, und die Sicherheitsregeln sind enorm verschärft worden. Beispielsweise müssen alle Starter ihre Sturmbesegelung, Try und Sturmfock gesetzt, der Jury live vorzeigen. Die Regatta über 608 Seemeilen startet im Solent vor Cowes, umrundet den Fastnet-Felsen vor der südwestlichen Küste Irlands und führt dann südlich der Scilly Inseln zurück nach Plymouth.

Ich entere „Hexe“ übers Heck mit dem Gedanken – abwarten, ruhig Blut. Schließlich komme ich an Bord hauptsächlich, um auf Papier festzuhalten, was ich sehe, was ich fühle. Erhoffe mir, wie gesagt, Antworten auf meine Fragen, Antworten die ich mir selbst gebe werde. Klar ist, es wird für mich eine neue Erfahrung. Alle kommen zu mir. Geben mir die Hand. „Hey“, „Hallo“, „Grüß dich“. Malte, Jan, Sören, Tinne, Henning ... geben mir den Eindruck, wir kennen unsere eigene Kraft und können sie einschätzen – wir hoffen du auch. Jung sind sie. Zumindest wirken sie jung. Vermutlich puscht die Aufgabe, das legendäre Fastnet mit „Hexe“ zu segeln.

Hexe hießen früher in meiner Familie immer die Dackel. Und das sind kleine Hunde. „Hexe“ aber ist groß. Riesengroß. 24 Meter Schiff. 34 Meter Mast. 14 Segel. Und: 24 Crew. Ein Schiff, das sich seiner Wirkung auf Menschen bewusst ist. Weiß, elegant und sauber und nackt wie selten ein Racer im Regattageschehen hängt sie an der Mooring. Nackt bedeutet übrigens ohne Werbung.

Es ist schon der Fünf-Salinge-Mast, der Wohlgefallen hervorruft, auch die subtile Anordnung der Winschen und Grinder, die abgerundeten Kanten und Ecken und zwei echte Kompasse an Deck lösen eine Menge Sympathie aus. Sinnliche Eindrücke, die den Traum vom einem Racer prägen: Es ist alles unsagbar menschlich: Oben an Deck die beiden Steuerräder, die Cockpitbank, mal anders, nämlich quer zum Schiff, die Handgriffe, die Kochecke gegenüber vom Klo, die Anordnung der Massen von Ölzeug, Wasser in Halbliterflaschen unter den Kojen. Nirgendwo das harte, metallische, kalte. Auch nicht in den Gesichtern der Crew. Ringsum: „Schau mal, du brauchst keine Angst zu haben.“ Die beiden Steuerkompasse, weißgrundig mit deutlichem Rosenbild in 5-Grad-Teilung und supergut ablesbar, geben mir das Gefühl, an Bord eines Cruisers zu sein, nicht ahnend, dass nach dem Kompass keiner steuert. Auch Norbert nicht. „Dafür sind elektronische Anzeigen hilfreicher.“

Norbert Plambeck, Skipper und Eigner der „Hexe“, kennt man hauptsächlich aus der Windenergie, nicht nur in Cuxhaven, wo er und Schiff zu Hause sind auch in Dänemark und im Offshore-Windgeschäft. Nebenher betreibt er eine Bootswerft in Cuxhaven und vieles andere mehr. In Figur, Aussehen und wirtschaftlichem Erfolg und seinem energetischen Auftreten ähnelt der deutsche Pionier der Windmühlen sehr einem Unternehmer der Nachkriegszeit.

Zuerst kommt die Einweisung für das Race. Skipper Norbert holt zwei gefaltete DIN-A4-Seiten aus der Hemdtasche. Die Crew steht und hockt an Deck um die „Badewanne“ herum. Das ist die Vertiefung zwischen Mast und Steuerrädern, wo Winschen und Grinder montiert sind und die eigentliche Manöverarbeit stattfindet. Es geht um das Übliche: Rettungsmittel, Sicherheit, um eine Markierungsboje, die, wenn im Wasser, selber Stock und Flagge ausfährt (wieder was gelernt), wo der MOB-Knopf, Mann über Bord, zu finden ist, Schwimmwesten zu tragen sind und so weiter. Das Wachsystem verblüfft mich sehr. Acht Stunden im Stück und immer um die zehn Mann auf einer Wache. (Hier liebe Redaktion wäre Wachenliste als Faksimile sehr sinnvoll). Essen wird alle vier Stunden gereicht – neu sind Fertiggerichte in Tüten von Globetrotter. Handys bleiben bis ins Ziel aus (wegen Störanfälligkeit der Elektronik), Zwiebeln im Sack (wegen der Hygiene). Seekrankheitsmittel bei AG, unserem Arzt. Regattacracks werden seekrank? Hm, ich staune.

1. Tag, So. 9. Aug. Cowes / 14 h Start, sehr gut, als 2. Boot unserer Klasse / Wind E 3-4 / Wetter sonnig, 21 Grad / In den Needles SW 3 / Kreuzen problemlos durch ein Feld kleiner Yachten / Ziel Plymouth via Fastnet

Schon lange vor dem Start sehe ich viele „Zupacker“ in erwartungsvoller Haltung. Meistens aber nur deren Rücken vor Winschen und Grindern. Das ganze Deck ist voller Blauweißer. „Schneller, schneller, schneller.“ Das Erste, was ich vor der Regatta besonders bestaune, ist: 180 Quadratmeter Groß müssen hoch, 180 Quadratmeter Genua gleich hinterran. Das bedeutet, jeweils vier, die die Segel mit Windenhilfe in Stellung bringen.

Startschuss! Schräg, schräger, am schrägsten. 35 Grad Lage, 40 Grad. 9 Knoten auf der Anzeige. Pardon 9,3. Hier geht es auch um Werte hinterm Komma. Skipper Norbert macht Deckpause am Navigationstisch. Beobachtet am Monitor seine Mitbewerber „Ran“, „Luna Rossa“, „Liara“, „Rosebud“. Seine Lücke im Cockpit füllt Heiko:

„Zehn Prozent höher ist ein halber Knoten weniger,“ sagt er, stellt das Ruder etwas nach Lee und setzt sich auf die Süllkante. Jetzt hat ein Schiff wie „Hexe“ eigentlich kein richtiges Cockpit mit Plicht, Winschen und Ablagen. Alles ist flach wie auch das gesamte Deck ohne jeglichen Wetterschutz, dafür hat man freie Sicht in alle Richtungen.

Wachmann Jan: „Da sind ein paar kleine Boote voraus.“ Die Anmerkung bringt den Rudermann wieder zum Stehen.

„Ja, gesehen,“ repetiert er.

Jan mit Blick „Hans guck in die Luft“:„Fährst du etwas tiefer, oder hat der Wind zugenommen?“
„6,9 Knoten Wind gleich 8,1 Knoten Fahrt.“ Keine Reaktion.

Taktiker Tim ist der Kreuzschlag in die Bucht bei Hearst Point zu weit drin: „Wenn der Speed runter geht, löse ich dich ab.“ Aber Heiko stellt am Ruder die Beine breiter und steuert mit Blick auf die Anzeige 28 Grad zum Wind.

Der Cuxhavener lässt sich nicht ablösen. Er leitet die nächste Wende ein:

„Klar zur Wende!“ Längere Atempause. „Transfer“. Kleine Atempause. „Schiff dreht.“

Während vier Grinder röhren wie eine kleine gutgeölte Maschine legt sich „Hexe“ zur Seite und kommt langsam wieder in Fahrt. Einige hängen sich über die Luvkante. Mit Abdrift segelt sie einen Wendewinkel von 90 Grad. Geschätzt.

Die Crew ist in dieser Zusammensetzung noch nie gesegelt. Das merkt man nicht. Das merke ich nicht. Hektik? Nein. Laute Worte? Nein. Laut ist es nur unter Deck, wenn die Winschen dröhnen. Wird gefiert, hat man manchmal den Eindruck, als ob jemand aus dem Mast an Deck gefallen ist. Klong.

Es gibt ein paar Zupacker, die eine kleine Aura um sich tragen. Henning ist so einer. Der Grinder aus dem Amerika‘s Cup Team wirkt zunächst mit seinem Messer, Schäkeln, Schnäpper am Gürtel und in roten Fleece, als er zwischen Mast und Ruder tappt, wie ein Tanzbär. Grinder ist Regattasprache und bedeutet kurbeln an Geräten, die wie Kaffeemühlen funktionieren. Henning entpuppt sich aber als Crewmann, der die Übersicht hat. „Leg das auf die Primary.“ Oder: „Hier wird keine Schot aus der Hand gelegt.“ Oder: „Bisschen Runner.“ Etwas forscher: „Hängt eure Bäuche raus.“

Das Kreuzen zieht sich eine Weile hin. Gischt kommt nicht an Deck. Kein Tropfen. Was Wunder bei Beaufort 2 bis 3 aus Südwest. Die ersten drei Kaps Hurst, Needles, Anvil fallen langsam achteraus. Wir fallen von Platz zwei auf einen Zweistelligen. Nach Portland Bill geht nichts mehr. Mangels Taktiker (der hat Freiwache und schläft) hat der Wachführer die Führung übernommen und segelt in die totale Flaute. Der Navigator steckt seinen Kopf aus der Luke und sagt: „Menopause“, bezugnehmend auf Meeno Schrader, unseren Wettermann in Kiel. Während im Süden am Horizont die Lichter anderer vorbeiziehen wird bei uns der Anker klargemacht. Mit der Tide achteraus „segeln“ will niemand. Auf 60 Meter Wassertiefe reichen 120 Meter Kette/Tau, um das zu verhindern. Das Bild auf dem Monitor zeigt: Vermutlich haben 100 andere achteraus auch geankert.
Warten. Abwarten. Schlafen. Nicht auf der „Hexe“. Wache bleibt komplett an Deck – im „Adrenalin-Spiegel“ – zupft, reißt, tappt, leuchtet und guckt rum. Ich halte den Finger in den „Wind“. Man amüsiert sich.

Drei Stunden später liegt das Ankergeschirr aufgeschossen wieder in der Bilge – und die meisten unserer Klasse sind 20 bis 30 Meilen voraus. Ein Süd bis Südwest zieht uns ins Tageslicht. Viel Schönes passiert am 2. Tag. Erstmal wird Start Point passiert. Im Niesel mehr zu erahnen als zu sehen, aber es ist das Kap meiner langen Reisen. 1968, 1972, 1984, 2000/2001. Entweder lagen hunderte Seetage im Kielwasser oder emotionaler – voraus. In dieser Gegend wachsen mir stolze Gedanken zu, ganz gleich ob ich sie will oder nicht. Mit einer Tüte Globetrotterfood (mit Heißwasser weich gemacht) und einem Schokoriegel geht’s in die Koje. Die gehört mir nicht allein. Das ahnte ich schon bei der Anmusterung, aber zu dritt? Nein, das habe ich nicht erwartet. „Drei teilen sich eine Koje?“ Das ist Regattasegeln!

2. Tag, Mo.10. Aug. / Wind SSW schwach, SW 5, W 4, NW 6 / Niesel, schlechte Sicht / Kreuzkurs, feucht und verdammt schräg / Kaps: Start Point, Eddystone, Lizard, Landsend, Longships

Ich lese in „Allein mit dem Tod“, ein Buch vom Fastnet-Desasterrennen 1979. Brutal und ergreifend zugleich. Da springt die Crew der „Grimalkin“ in die Rettungsinsel, nachdem ihr Boot durchgekentert ist und voll Wasser steht. Lässt aber zwei Crewmitglieder an Bord des sinkenden Schiffes zurück. Einer stirbt im Cockpit vor Erschöpfung, der Andere, der Autor, wird bei der Havarie bewusstlos, wacht dann auf und entdeckt, dass vier Mann und Rettungsinsel weg sind. Erst nach 20 stündigem Kampf mit dem Wasser über Deck sowie im Boot wird er als letzter Überlebender der Fastnet Tragödie per Hubschrauber gerettet. Erschütternd. Traurig. Der Autor war damals 22 Jahre alt. Ich erzähle Bubu von dem Buch. Er war damals an Bord der „Hamburg“, die das Rennen unter furchtbaren Anstrengungen beendet hat. Er spontan: „Au, das war chaotisch. Mehr als der Orkan waren es die Wellen, die uns zittern ließen. Wir hatten den Rock schon gerundet und daher alles von achtern. Unter Genua 4 steuerten wir das Wetter aus. Angst war dabei. Nicht nur bei mir. Obwohl es kalt war, habe ich geschwitzt. Ganz schlimm war die Zeit nach dem Orkan, denn die See rollte weiter steil und hoch, und wir konnten kein Groß setzen. Unser Fall war ausgerauscht. Wir mussten dann einen Mann in den Mast ziehen.“

Unser Wetter ist bisher moderat und wird sich laut Wetterprognosen nicht ändern. Unser Wetter kriegen wir von „Onkel Meeno“, wie er an Bord heißt. Er hatte uns auch den Hinweis gegeben, weiter südlich zu segeln, um der Flaute zu umgehen. Wie bekannt wurde folgende Faustregel nicht zur Kenntnis genommen: Ist die Tide gegen dich, ist es besser, Abstand zum Kap zu halten. Läuft die Tide mit dir, passiere es dicht.

Heute bin ich lebender Ballast – auf der Kante. Gleich im Dutzend hängen wir unseren Körper über Bord. „Weight up“ das Kommando. Das ist wieder Regattasprache und bedeutet Gewicht auf die Bordkante in Luv. „Weight down“ natürlich entgegengesetzt, also in Lee. Das ist nicht anstrengend, aber langweilig. Die Wellen benetzen sanft die Stiefel, du schaust aufs Kielwasser oder in die Wolken, Gespräche sind rar. Ich träume manchmal vom Kurs ins Weite, ins Unendliche. Damit wir nicht schwächeln und eventuell über Bord sacken, reicht Smutje Andy Bananen, Riegel, belegte „Stullen“. Andy ist Smutje an Bord und im normalen Leben Kunstmaler in Cuxhaven mit eigenen Ausstellungen.

Die Sicht wird mies, unsere Platzierung sackt ab. Es ist grau im Gewölk und sichtig nur dicht überm Wasser. Die Knaller im Bug gegen eine lange Atlantikdünung werden heftig. Die Lage des Schiffes bleibt stabil. Genua medium light wird gegen medium heavy ausgetauscht. Und wieder zurück. Segelwechsel sind Programm, um verlorenes Terrain zurückzuholen. In den Gängen unter Deck reichen die Segel bis übern Kojenrand. Rausfallen täte nicht weh. Oh nein. Rausfallen geht nicht. Der Navigator zwängt sich durchs Luk. „Mein armer Kurs.“ Nachdem wir Longships wegen Winddrehung wieder nicht kriegen schaffen, schlägt er eine Minutenwende vor.

3. Tag, Di. 11. Aug. / Um 6 h noch 60 Meilen bis Fastnet / WNW 4 bis 6 / Speed 12 bis 16 Knoten / Sicht 1 Meile / 13:30 h Fastnet Rock gerundet

Hoch am Wind. Alle auf der Kante – tagsüber und die ganze Nacht durch. Mit Tee und Kaffee werden wir am Leben gehalten. Und Stullen, amerikanisch belegt. Zum Reinbeißen. Nicht nur sitzen (Weight up) auch reißen, drehen und gucken ist Pflicht. Ausguck halten, obschon kaum ein Schiff zu sehen ist. Gucken bezieht sich auch auf die markierten Holepunkte an Deck, die montierten Anzeigen und ganz logisch auf die Segelstellung.

Stille. Nur „Hexe“ atmet mit dem Bug im leichten Auf und Ab.

Kurze Sätze fliegen über Deck:
„Medium light wäre richtig.“
„Stellst bisschen hoch.“
„Ich reiße runter.“
„Bisschen Runner.“
„Running Backstay.“

Die medium light Genua an Deck zu schaffen, braucht es fünf Mann. Alles ist schwer und unhandlich. Manche Segel sind eingepackt sechs Meter lange Würste. Kevlar!
Jan scheint in den Nächten der Chef an Deck. Obschon wenige Anordnungen über Deck knallen (siehe oben), laufen alle Manöver erstaunlich ruhig und sicher. Jan war Pitman in Valencia beim deutschen Amerika‘s Cup Team Germany 1, das leider mit totaler Niederlage (sagt hier jeder) endete. Nichts funktionierte im Laufe der Regatta, nicht die Organisation, der Skipper, die Crew. Er: „Das Beste am Cup in Valencia war, dass ich meine Frau dort im Hafen kennengelernt habe.“ – „Im Hafen?“ – „Ja, ein spanisches Mädchen.“ – „Gute Aussichten,“ ergänze ich, „meine Hafenliebe hat 40 Jahren Bestand.“

Bubu, immer für einen guten Spruch zu haben: „Onkel Meeno hat hier schlechte Karten. Aus avisiertem Nordwest (315 Grad) wurden nur 292 Grad. Na ja, er kommt erst aus dem Urlaub, kann passieren.“

Bedeckt aber mit 12 Knoten Fahrt runden wir den Rock. Das Hurra ist leise. Mit 30 Meter Höhe ist der Felsen eher niedrig, aber imposant durch den Turm, der förmlich aus dem Fels zu wachsen scheint. Fastnet Rock ist der südlichste Punkt an Irlands Küste. Der Felsen ist in zwei Inseln gespalten. Teardrop heißt die Flachere. Teardrop (Träne)stammt aus der Zeit der Auswanderer. Es war das letzte Stück Land, das sie von ihrer geliebten Heimat sahen.

Eine halbe Stunde später runden wir fünf Meilen südlich die Pantaenius Boje. Sie soll verhindern, dass es zu Kollisionen mit den Entgegenkommern gibt. Unsere Schoten werden gefiert. Vier und fünf Überwürfe auf der Trommel lassen es in den Kojen knallen. Tütenessen wird gereicht. Nur die Tabasco Freunde greifen noch zu. Die anderen: „Ich muss mich erst vom letzten Essen erholen.“ „Hugo Boss“ überholt uns. Bei raumen Winden macht die Open 60 wahnsinnige Fahrt. Lässt uns förmlich stehen. „Die wurden speziell für solche Kurse gebaut“. Blick auf den Monitor: Bei den Class 40 ist die „Beluga Racer“ mit Boris Hermann momentan zweite. „Red“ (Müller von Blumencron)liegt auf Rang 4.

Ich klare auf. Koje. Kameratasche. Kleidung. Mit zwei Flaschen Wasser wasche ich mich am Heck. Die Idee, anstelle Wasser im Tank in Flaschen mitzunehmen, gefällt mir. Kleide mich neu, glänze im Hexe-Outfit und fühle mich wie ein Frischling. Rücklings auf der Koje mache ich Notizen: „Die Bongotrommel ist ruhig geworden.“ Eigentlich müsste es Carbontrommel heißen, das ist das Material aus der „Hexe“ gebaut ist. Der Raumschotkurs mit der stabileren Lage beflügelt meine Gedanken nicht. Ich halte nur Sachliches fest: „Jeder hat hier immer ein Stück Leine in der Hand.“ Für gebrauchsfähige Notizen fehlt mir die Ruhe und ein Tisch, der leider nicht vorhanden ist. Ich klappe mein Heft zu und gehe an Deck. Womöglich bin ich für Racer-Anstrengungen zu alt. Dieses Tempo habe ich nicht mehr. „Wer sein Alter erfahren möchte schaut bei Nordwest auf die See.“ Das ist von Joseph Conrad. Die See des Nordatlantiks beschrieb er bei Schlechtwetter als grau, stumpf, blind. Davon ist heute viel wahr, als ich in die Hecksee starre, auf die Schleppe des brodelnden Kielwassers, das sich im Nebel verliert.

Zwölf Knoten sind nicht genug. Vor allem nun Platz 7 ist nicht genug. Man will mehr. Wir wollen wenigstens die und die Yacht überholen. Immer ist ein anderer schneller. Die Folge: 25 Tonnen Schiff werden ab sofort aus der Hand gefahren. Natürlich nicht direkt, sondern über die jeweilige Trommel. Tinne ist heute Maintrimmer. Wie er vier Stunden ununterbrochen die Großschot fährt, ist bewundernswert. Da muss man das Segeln schon sehr mögen. Immer wenn „Hexe“ auf der Welle steht, werden die Schoten leicht angezogen und mit der Talfahrt wieder gelöst. Das bringt anstelle von 12 Knoten 14, ja manchmal 16 Knoten Speed. Das hat aber auch stete Aufmerksamkeit und bedingungslose Belagerung der Winschen und Grinder zur Folge. Wachelang bis zum Bishop Rock.

4. Tag, Mi. 12. Aug. / Peilen um 04:02 Uhr Bishop Rock in Nord / Blinkfeuer, Gruppe 2, alle 15 Sek. / Wind WNW 5 / Sicht schlecht, zeitweise Nebel / See grau, ohne Glanz, zeitweise Niesel

„Crewsegeln ist erst richtig gut,“ sagt Norbert Plambeck, „wenn du nichts erklären musst, infolgedessen am Ende alle in einem ‚full glass feeling‘ zurücklässt.“

Wir sprechen über den nächsten Regattatörn. Der Klassiker Sydney-Hobart reizt ihn. ARC, Skagen rund. Er möchte weiter ernsthaft Regatta segeln. Vor allem jungen Seglern Seesegeln nahebringen. „Das ist mir wichtig“. Mit solch einer Crew ist man nicht immer auf Siegeskurs. „Aber die Einbindung Einheimischer, also Cuxhavener Segler ist mir allemal wichtiger als der Sieg oder nur vorneweg zu segeln. Das Beste aus dem Boot zu holen, reicht mir. ‚Hexe‘ ist ja keine aktuelle Konstruktion, also mit zwölf Jahren nicht mehr die Schnellste. Ich erhole mich mit ihr und schalte dabei total ab. Sehe es gewissermaßen als Abenteuer. Auch wenn ich schon mal Bedenken spüre.“

Ich hake nach: „Was war dein schlimmstes Wetter?“

„Die Edinburgh-Regatta mit Orkan. Und dazu hoch am Wind. Vom Geräusch her betrachtet, konnten wir uns an Deck nicht mehr verstehen. Keiner wollte in die Kajüte. Dann kamen wir an der englischen Küste auch noch dem Land zu nahe. Furchtbar. Wir konnten schon die Brandung hören – mit dem Ergebnis, dass wir uns freikreuzen mussten. Und im letzten Jahr das Bermuda Race. Tausende Gewitterblitze und wir mittendrin. Das war für alle eine schlimme Situation. Unter Deck war lichthell, und du weißt ja wie wenig Licht normalerweise durch die winzigen Fenster dringt.“

„Wie wichtig ist dir Anerkennung?“

„Ich freue mich über Anerkennung. Ganz klar. Vor allem im Team.“

Ich freue mich über Lizard. In Nebelschwaden passieren wir es bei Nordwest im großen Abstand unter Genaker. Im Rücken die 100-Fuß-Yacht „Liara“, die wir noch knacken wollen, um einen Platz vorzurücken. Dafür wird auf das Segel Code Zero gewechselt und wieder zurück. Die nötigen 40 Minuten Vorsprung sind leider nicht drin.

Querab vom Leuchtturm auf dem Wellenbrecher von Plymouth werden wir „abgeschossen“. Das Zeichen auch für Kast off der Leinen, es heißt übrigens werf ab/ lass los. Alle klatschen. Ich höre: „Jetzt haben wir auch Fastnet gemacht“. Fastnet, toll, ohne Bruch, ohne Verletzungen. Menschlich war es fast zu ruhig an Bord. Ein Manöver, das nicht klappte, „ich habe zu schnell gedreht,“ war die einzige negative Ausbeute für mein Notizheft. Kein lautes Wort, kein Schnack über andere, kein Nix. Vor allem keinerlei ernsthafte Diskussion. Zu müde? Zu schlapp? Zumindest nicht aus Desinteresse. Zum Thema Cruisen: „6 bis 7 Knoten – da fühlt man sich als Regattasegler verarscht.“ Bestätigen kann ich: Nie wird an Deck so hart gezogen, gedreht, gezerrt, getrimmt wie in dem Augenblick, wenn der Speed unter 9 Knoten sinkt. Nur zweistellig ist für Racer die Welt in Ordnung. Für mich auch. Aber nur diesmal – des schönen Schiffes wegen. Noch immer fühle ich mich auf geheimnisvolle Weise dem Schiff verbunden. Nach Kap Race, Kap Hoorn, Muggle Flugga, Kap Arkona (mit der Jolle) jetzt also der berühmte Fastnet Rock. Und als Zugabe: Wenig getan – viel gelernt. Für immer auf der Kante? Nein, nein, nein. Dann doch lieber nur 6 Knoten.

Im Hafen wird von Rolex, dem Veranstalter, ein Kasten Bier zwischen die Relingdrähte an Deck geschoben. Skol. 3 Tage 1 Stunde 41 Minuten die gesegelte Zeit. Das bedeutet 12. in der Klasse der Großen. Nicht schlecht – finde ich, zudem als I-Tüpfelchen beste deutsche Yacht. Ein tolles Gefühl hat mir das Schiff gegeben, zu jeder Zeit – optisch wie segeltechnisch. Norbert beim Briefing: „Und wenn etwas nicht besser geht, dann geht’s eben nicht.“ Bedankt sich bei allen per Handschlag, zieht sein schwarzes Jackett über und lädt uns allesamt zum Essen ein. Ob er wohl ein Lokal findet, dass 24 freie Plätze bietet? 2500 andere Fastnetsegler sind auch in der Stadt – oder im Kommen.







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